Wenn man sich durch den Instagram-Feed von der Autorin Susanne Danzer, einer Koryphäe auf dem Feld der chronischen Wundversorgung klickt, dann sieht man dort unter anderem auch ihre Kater Max und Moritz. Man sagt, dass Katzen sieben Leben haben. Ein alter Aberglaube, der mit großer Wahrscheinlichkeit aus dem Mittelalter stammt. Kein Mystizismus, sondern knallharte Realität: Susanne Danzer packt mindestens sieben Leben in eines. Ihre Publikationsliste der letzten Jahre ist schwer beeindruckend. Buch folgt auf Buch. Sie schreibt nicht nur Fachliteratur, sondern auch Romane, teils unter Pseudonym. Wir wollten von der überaus produktiven Autorin wissen, welche Rolle die beiden Welten Fakt und Fiktion in ihrem Leben spielen. Warum ihr neuestes Buch geschrieben werden musste. Und wie die Zukunft der chronischen Wundversorgung aussehen könnte.
Haben Sie als Kind Krankenschwester oder Detektiv gespielt? Welche war die erste Geschichte, die Sie auf das Papier gebracht haben?
Für mich war bereits im Kindergarten klar, dass ich Krankenschwester werden will. Deshalb hatten alle meine liebevoll gepflegten Puppen und Stofftiere irgendwo einen Verband, da wurde wahrscheinlich schon der Grundstein für meine spätere Tätigkeit in der Wundversorgung gelegt. Meine erste längere Geschichte habe ich mit acht Jahren geschrieben. Immerhin 40 Seiten lang. Sie handelte von einer Schmetterlingsprinzessin und einem Nachtfalterprinz, die gerne Freunde sein wollten, aber es nicht sein konnten, weil sie tagsüber und er nachts wach war.
Für die Krimi-Serie „Montgomery & Primes“, die Sie gemeinsam mit Thomas Riedel verfassten, haben Sie mit Dr. Celeste Montgomery eine Chef-Pathologin erschaffen. Hier half Ihnen ihr medizinisches Wissen. Gibt es Kenntnisse oder Erfahrungen, welche Sie - vice versa - aus der Romanwelt in die Arbeit als Autorin für Fachliteratur rund um die chronische Wundversorgung einfließen lassen?
Da die Krimis um „Montgomery & Primes“ Ende des 19. Jahrhunderts spielen, haben sie auf meine Fachbücher keinen Einfluss. Andersherum fließt mein Fachwissen natürlich in die Erzählungen mit ein. Allerdings muss man dabei darauf achten, dass es manche Erkenntnisse gibt, die für uns heute ganz selbstverständlich sind, die es damals noch gar nicht gab. Dennoch finde ich es faszinierend, wie Medizin damals gehandhabt wurde. Die Bücher über „Montgomery & Primes“ haben mein Faible für die Medizingeschichte geweckt.
Wenn man sich Ihre Veröffentlichungen der letzten Jahre anschaut, dann scheint die Auseinandersetzung mit Fiktion und Fakt immer im Wechsel stattzufinden. Zufall oder bewusst getroffene Entscheidung? Welche Rolle spielen beide Welten in Ihrem Leben?
Eigentlich ist es keine bewusste Verteilung von Fakt und Fiktion. Es hängt ein bisschen davon ab, welches Projekt gerade Priorität in meinem Leben hat und das am meisten drängt, in die Welt hinausgebracht zu werden. Das Schreiben von Romanen lässt sich nicht mit dem Verfassen von Fachbüchern oder Fachartikeln vergleichen. Es sind zwei unterschiedliche Welten, die mir aber gleich wichtig sind. Die Lektorin meiner Romane kennt mich allerdings inzwischen so gut, dass sie ganz genau erkennt, wenn ich zuvor mit einem fachlichen Projekt beschäftigt war. Die Struktur und die Schreibweise von Romanen und Fachbüchern/ Fachartikeln unterscheiden sich völlig. So oder so ist Schreiben ein gutes Mittel für mich, um Gedanken zu ordnen und sie dann aufs Papier zu bringen.
In Ihrem neuesten Buch „Wundbehandlung - die wichtigsten Fragen und Antworten. Immer im Fokus: der Patient“ setzen Sie sich mit den Basisfragen der chronischen Wundversorgung auseinander. Ein vielfach behandeltes Thema. Warum war es Ihnen wichtig, das Buch zu schreiben?
Die Wundbehandlung bleibt nicht stehen. Stetig gibt es neue Erkenntnisse, verändern sich Dinge und es wird mehr und mehr. Da ich viel Erfahrung auf dem Gebiet der Wundversorgung habe und gerne schreibe, war es eine naheliegende Entscheidung. Wichtig war es mir dabei, besonders Anfängern, die sich noch unsicher in diesem Bereich fühlen, die Möglichkeit zu geben, sich mit dem Thema (hoffentlich) leichter auseinanderzusetzen. Wenn es jemanden bei seiner täglichen Arbeit hilft, dann hat sich das Schreiben des Buches schon gelohnt.
Das Buch „Wundbehandlung“ ist unter Mitarbeit von Anke Bültemann entstanden. Wie sah die Mitarbeit konkret aus? Durchaus bemerkenswert: Sie arbeiten regelmäßig mit Co-Autoren zusammen, beispielsweise mit Thomas Riedel, Bernd Assenheimer oder Bastian Klamke. Warum sind Ihnen Kooperationen wichtig und wie laufen sie ab?
Ich arbeite gerne mit anderen Menschen zusammen, da jeder eine unterschiedliche Perspektive hat und man die Dinge von mehreren Seiten beleuchten kann. Zudem lerne ich dabei selbst etwas und es macht Spaß. Wie die Zusammenarbeit abläuft, ist immer ein bisschen unterschiedlich. Das hängt vom jeweiligen Co-Autor ab. In der Regel findet sich aber stets ein Weg, um das entsprechende Projekt problemlos zum Abschluss zu bringen.
In Ihrem neuen Buch gehen Sie in einem Kapitel auf Wundauflagen und Verbandstoffe ein. Ein Blick in die Zukunft: Wie werden die Wundauflagen und Verbandstoffe der nahen Zukunft aussehen? Wo auf diesem Sektor erwarten Sie zukünftig die größten Innovationen?
Diese Frage ist gar nicht so leicht zu beantworten. Aber wenn ich über Gewebedrucker oder Tissue Engineering lese, dann sehe ich eine Menge Innovation und finde es sehr spannend. Wann wir allerdings davon in der Versorgung von Menschen mit chronischen Wunden profitieren werden, kann ich nicht sagen, da es ja von diversen Faktoren abhängt. Gespannt bin ich auf jeden Fall, was die Zukunft so bringen wird.
Wir bleiben in der Zukunft: Der demografische Wandel wird in Deutschland dafür sorgen, dass wir immer mehr alte, pflegebedürftige Menschen haben werden, dementsprechend mehr chronische Wunden, die versorgt werden wollen. Eine Herausforderung in vielerlei Hinsicht. Was muss sich ändern, damit das Gesundheitssystem auch zukünftig in der Lage ist, die kommenden Aufgaben zu bewältigen?
Letztendlich sehe ich das Problem darin, dass immer noch zu wenig Prävention in vielen Dingen betrieben wird. Warum nicht bereits vorbeugend Maßnahmen ergreifen, um Schlimmeres zu verhindern? Letztendlich ist – meiner Meinung nach – Prophylaxe günstiger, als später den Schaden zu beheben.
Auf Twitter schreiben Sie „Beruflich Pflegende haben viel zu sagen! Also sagt es auch! Wer soll uns sonst hören?“ - ein Appell! Was muss gesagt werden?
Letztendlich würde ich mir wünschen, dass die Pflege mit einer Stimme spricht. Leider sehe ich, dass sich verschiedene Bereiche uneins sind: Die stationäre Pflege schimpft auf die ambulante, die Krankenpflege auf die Altenpflege usw. Dabei haben wir doch alle dasselbe Ziel, nämlich den Menschen zu helfen, sei es nun sie während ihrer Gesundung oder bei ihrem Sterben zu begleiten. Würden wir uns darauf fokussieren und alle an einem Strang ziehen, hätten wir eine sehr laute Stimme und würden gehört werden. Das würde ich mir für die Pflege wünschen.
Aktuell viel diskutiert: Digitale Wundvisiten. Ihre Meinung?
Warum nicht ab und zu eine digitale Wundvisite? Gerade, wenn Unsicherheiten bestehen, ist es doch leichter sich kurz digital auszutauschen. Und natürlich dient es der Dokumentation. Allerdings würde ich mich nicht nur auf digitale Wundvisiten verlassen. Ich finde es wichtig, die Wunde regelmäßig live zu sehen, da ich nur so alle nötigen Aspekte ungefiltert wahrnehmen kann. Zudem schafft persönlicher Kontakt Vertrauen, was ich besonders in der Versorgung von Menschen mit chronischen Wunden sehr wichtig wenn nicht gar essenziell finde.
Auf Instagram schreiben Sie „Ohne das geschriebene Wort wäre das Leben nur halb so schön!“. Soziale Medien wie Instagram oder Twitter beeinflussen in den letzen Jahren massiv das geschriebene Wort. Es kommt unter anderem zu einer Verkürzung unserer Sprache. Wie beurteilen Sie als Autorin diese Entwicklung?
Sprache verschafft einem eine Menge Möglichkeiten zur Kommunikation, es lässt sich alles damit ausdrücken. Gerade im beruflichen Bereich finde ich Fachsprache enorm wichtig, weil sie von allen Angehörigen eines Berufszweigs, z. B. medizinische Berufe, verstanden wird. Als Autorin bin ich natürlich ein bisschen pingelig in Bezug auf Sprache. Überspitzt gesagt: Ich mag vollständige Sätze.
2010 haben Sie das Buch geschrieben: „Reden Sie mit mir - ich bin ihr Patient“. Es wird auf humorvolle Weise beschrieben, wie Kommunikation zwischen Patienten und Pflegenden geschieht und wie oft sie leider danebengeht. Bedarf es mehr Humor in der Pflege?
Ich finde Humor enorm wichtig. Warum alles immer so verbissen sehen? Das Leben ist ernst genug. Zudem haben Humor und Lachen nachgewiesen einen positiven Effekt. Weshalb also nicht zusammen mit Patienten lachen? Oder einfach mal über sich selbst?
In ihrem Buch „Wundbehandlung“ fanden wir besonders den Part spannend, in dem es um Artefaktwunden geht. „In der Wissenschaft sind Artefakte wertlos, weil sie nichts über den eigentlichen Untersuchungsgegenstand aussagen sondern lediglich eine diagnostische Fehlerquelle darstellen“. Was können Artefaktwunden hingegen im Bereich der chronischen Wundversorgung aussagen?
Für mich sehe ich Artefaktwunden immer als Zeichen dafür, dass irgendwo ein Mangel auf psychischer bzw. emotionaler Seite besteht, der körperlich zum Ausdruck gebracht wird. Sei es nun Mädchen, die sich ritzen oder aber auch Menschen, die Angst vor Vereinsamung haben. Nehmen wir beispielsweise eine alte Frau mit einem Ulcus cruris venosum. Eine Pflegefachkraft kommt jeden Tag, um zumindest einen Kompressionsverband anzulegen oder zusätzlich den Wundverband zu wechseln. Die Wunde fängt an zu heilen und der alten Frau wird klar, dass keiner mehr kommen wird, sobald die Wunde abgeheilt ist. Also fängt sie an zu manipulieren, um das zu verhindern. Denn die Angst, es kommt keiner mehr – und seien es nur 5 Minuten am Tag – ist in dem Fall der höhere Leidensdruck als die Wunde. Die Angst vor Einsamkeit, besonders im Alter, ist jeden Tag präsent und kann sich in einem Artefaktverhalten zeigen.
Als Kind haben Sie sich für Märchen, die nicht gut ausgegangen sind, ein neues Ende - ein HAPPY END - ausgedacht. Als erwachsene Frau haben Sie sich mit der palliativen Wundversorgung auseinandergesetzt.
Inwiefern hat ihre Auseinandersetzung mit der palliativen Wundversorgung ihr Denken über ein Happy End beeinflusst?
Eigentlich hat sich nicht wirklich etwas geändert: Ich liebe nach wie vor Happy Ends. Je schnulziger, desto besser. In Bezug auf die palliative Wundversorgung hoffe ich, dass ich mit meiner Arbeit den Menschen eine schwere Situation ein bisschen erleichtern kann, sodass sie auf ihrem letzten Lebensweg ein wenig mehr Lebensqualität erfahren können. Weniger Schmerz, weniger Angst vor dem Verbandwechsel oder vor durchnässten und/oder riechenden Verbänden etc. Alles, was den Betroffenen hilft, sich vielleicht nur einen Moment besser zu fühlen, ist schon ein bisschen wie ein Happy End für einen Augenblick.
Das absolut lesenswerte Buch „Wundbehandlung - die wichtigsten Fragen und Antworten. Immer im Fokus: der Patient“ ist im Schlütersche Verlag erschienen und gibt es hier zu kaufen. Und eine Leseprobe findet ihr hier.